Einige Helmstedter Bürger kennen den unterirdischen Gang noch
Im Zuge der Erneuerung von Versorgungsleitungen in der Magdeburger Straße sowie der Umgestaltung des Straßenbelages war damit zu rechnen, dass bauliche Funde aus Helmstedts Vergangenheit zu Tage gefördert würden. Schließlich handelt es sich bei dieser Straßentrasse um einen uralten Fern- und Handelsweg, der im Laufe seiner Geschichte zur Reichsstraße Nr. 1 von Aachen nach Königsberg und dann später zur Bundesstraße Nr. 1 erklärt wurde. Nicht zuletzt führt diese Straße innerstädtisch durch das ehemalige östliche Stadttor hindurch, welches unterschiedliche Bezeichnungen wie Ostertor, Magdeburger Tor, Klostertor, Ludgeritor oder auch Lüdersches Tor erhielt.
Um im Erdreich verborgene historische Befunde für die Stadtgeschichte zu sichern und zumindest vor einer nicht vermeidbaren Zerstörung zu dokumentieren, wurden die Erdarbeiten durch einen Archäologen baulich begleitet. Durch diese Maßnahme konn-ten die letzten Fundamentreste des Stadttorturmes vor dem Haus Nr. 17 – soweit der Bagger diese zum Vorschein brachte – dokumentiert werden. Die aufgedeckten Mau-erreste in der Art eines Gewölbes vor dem Haus Nr. 16 sind einer Brücke zuzurechnen, welche über den jenseits der Stadtmauer gelegenen Graben führte, bevor als letzter Gürtel der Stadtbefestigung in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Erdwälle angelegt wurden. Eine Stadtmauer mit äußerem Graben als Schutz vor Eindringlingen oder Angriffen hatte es schon mindestens 200 Jahre früher gegeben.
Im Bewusstsein einiger Helmstedter Bürger war ein unterirdischer Gang in diesem Teil der Stadt, welcher aber stets als Fluchttunnel zwischen dem unbefestigten Klosterbe-reich St. Ludgerus und der geschützten weil befestigten Altstadt dargestellt wurde. Es war bekannt, dass dieser Tunnel aus Richtung Kloster unter dem Langen Wall hindurch führen und vor dem Haus Magdeburger Straße 17 im Gehwegbereich enden sollte. An dieser Stelle – nicht zufällig zeigt das Haus hier einen deutlichen Versprung im Grundriss – wäre, so konnten Zeitzeugen sich noch erinnern, ein tiefer gelegener Zugang zum Tunnel mit einer Treppe vorhanden gewesen. Später habe man diese Stelle abgedeckt bzw. mit Erde verfüllt.
Im Zuge der Straßenbauarbeiten bot sich nun die Chance, diesen Bereich näher anzu-sehen. Die Aussagen der Helmstedter Bürger trafen zu! Der stadtseitige Eingang zum Tunnel wurde hinter einer vorgelagerten Gewölbekammer unter dem privaten Wohnhaus Nr. 17 gefunden. Er ist zwar noch nicht durchlässig geöffnet, konnte aber doch schon unter Mühen begangen und in Augenschein genommen werden. Der Stollen endet am östlichen Wallfuß wiederum auf einem privaten Grundstück, ist von hier aus jedoch wegen eines Teileinsturzes des Mundlochs nicht begehbar.
Dank der Archivrecherche des Archäologen Jörg Weber kennen wir nun auch die Bedeutung des Tunnels: Es ist ein Wartungsstollen für die mittelalterliche Wasserversorgung. Das Trinkwasser wurde über Röhren aus Richtung Piepenbrink in zwei Leitungssträngen im Bereich Ostertor in die Stadt hinein geführt und teilte sich dann wieder, eine Leitung führte zum Holzberg, die andere über Papenberg und Marktplatz in die Schuhstraße. Somit wissen wir, dass der Tunnel im Zusammenhang mit der Aufschüttung des Langen Walles entstand. Sicherlich ist nicht ausgeschlossen, dass er in Krisenzeiten auch als Fluchttunnel zwischen Kloster und Stadt dienen konnte. Durch Zeitzeugen gesichert ist jedoch, dass er im Zweiten Weltkrieg Kindern als Luftschutzraum diente. Übrigens wurde gleich am ersten Tag der Tiefbauarbeiten ein Stück der hölzernen Wasserleitung in Form eines ausgehöhlten Baumstammes im Untergrund aufgefunden und in Sicherheit gebracht.
Die Stadt Helmstedt beabsichtigt, den Eingangsbereich des Wasserstollens wieder als Objekt für die Stadtgeschichte anschaulich zu präsentieren und in die Neugestaltung der Straße einzubinden.